Vagusnerv und der entzündliche Reflex
Vagusnerv und der entzündliche Reflex – Die neuronale Brücke zwischen Immunsystem und Stoffwechsel
In unserem Körper gibt es ein Netzwerk, das die Kommunikation zwischen dem Immunsystem und dem Gehirn reguliert. Eine zentrale Rolle in diesem Netzwerk spielt der Vagusnerv, der Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems. Der Vagusnerv reguliert den Stoffwechselhaushalt, indem er die Herzfrequenz, die Magen-Darm-Motilität und Sekretion, die Bauchspeicheldrüsenfunktion, die Glukoseproduktion der Leber und andere innere Funktionen kontrolliert.
Zusätzlich hat der Vagusnerv eine wichtige Funktion im sogenannten entzündlichen Reflex, einem physiologischen Mechanismus, in dem afferente vagale Nervensignale, die durch Zytokine oder von Pathogenen stammende Produkte aktiviert werden, eng mit efferenten vagalen Nervensignalen verbunden sind, um die Produktion proinflammatorischer Zytokine und Entzündungen zu regulieren.
“Der Vagusnerv ist Teil unseres sozialen Nervensystems. Wenn wir uns sicher und geborgen fühlen, dann sendet er Acetylcholin aus. Dies aktiviert Stammzellen, hemmt Entzündung und regeneriert unseren Körper. Mit Hilfe von simplen Techniken, die wir im MOJO Institut lehren, kann jeder lernen, wie man selber den Vagusnerv aktiviert und so ein Gefühl von Sicherheit hervorruft und damit den Körper heilt.”
Dr. Gerrit Keferstein
Entzündungen sind normalerweise lokale und temporäre Ereignisse, die nach ihrer Behebung zur Wiederherstellung von Immun- und physiologischer Homöostase führen. Ein gestörtes Gleichgewicht der angeborenen Immunregulation kann jedoch zu einer anhaltenden proinflammatorischen Aktivität und exzessiven oder chronischen Entzündungen führen. Dieses Phänomen ist die Grundlage für die Pathogenese einer Reihe von Krankheiten, einschließlich Sepsis, rheumatoider Arthritis und anderen entzündlichen und autoimmunen Erkrankungen.
Bei Adipositas und Stoffwechselstörungen, die mit Entzündungen einhergehen, wurde eine Dysregulation der Vagusnervaktivität festgestellt. Eine selektive cholinerge Aktivierung des efferenten Arms des entzündlichen Reflexes kann Entzündungen im Zusammenhang mit Adipositas und metabolischen Komplikationen unterdrücken und umkehren, was die ursächliche Rolle des Vagusnervs und des entzündlichen Reflexes in chronisch-entzündlichen Erkrankungen aufzeigt.
Der entzündliche Reflex
Der entzündliche Reflex wird durch eine Wechselwirkung zwischen dem peripheren und zentralen Nervensystem vermittelt. Vagal afferente Fasern erkennen Entzündungsmoleküle und übermitteln Signale an das Gehirn. Diese Fasern enden hauptsächlich im Nucleus Solitarus im Hirnstamm und vermitteln die Informationen an verschiedene Hirnregionen, die an der Integration viszeraler sensorischer Informationen und der Koordination autonomer Funktionen und Verhaltensreaktionen beteiligt sind.
Periphere Verabreichung von bakteriellem Lipopolysaccharid (Endotoxin) oder IL-1β geht mit einer Aktivierung afferenter vagaler Nervenfaser einher. IL-1β-Rezeptoren, die auf den enden der Nervenfasern lokalisiert sind , erkennen diese entzündlichen Moleküle. Die Aktivität der afferenten Vagusnerven wird durch die Menge der Pro-Entzündungsfaktoren beeinflusst. Kleine Mengen führen zur Aktivierung der afferenten Fasern, hohe Mengen hingegen, die den viszeralen Endungen der Nervenfasern umgehen, entfalten ihre Wirkung zentral, u.a. durch die Hirn umgehenden Mechanismen- oder humoralen Mechanismen.
Vagusnerv-Afferenzen sind für das Übermitteln von Informationen über den Immunstatus an das Gehirn verantwortlich, wenn proinflammatorische Zytokine in geringen Mengen vorhanden sind. Störungen in der angeborenen Immunregulierung können zu einer anhaltenden proinflammatorischen Antwort führen. Das Fehlen des entzündlichen Reflexes aufgrund von Nervenverletzungen oder genetischer Entfernung der erforderlichen Komponenten führt zu exzessiven immunologischen Reaktionen und toxischer Zytokinfreisetzung.
Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass der entzündliche Reflex für medizinische Anwendungen genutzt werden kann. Eine selektive Aktivierung des entzündlichen Reflexes kann die Behandlung von Entzündungen und damit verbundenen Erkrankungen wie Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes verbessern.
Rolle des vagalen Nervs bei der Stoffwechselregulation
Vagusnerv-Afferenzen innervieren den Magen-Darm-Trakt und die Leber und sind ein wichtiger Bestandteil eines Sensoriksystems, das Veränderungen in Mikronährstoffen und Stoffwechselmolekülen erkennt. Diese Nervenfasern übertragen Informationen über Mechanorezeptoren, Chemorezeptoren und spezifische Metabolitrezeptoren im Magen-Darm-Trakt und im portalen Hepatissystem, die den Niveaus von Lipiden, Cholecystokinin, Leptin, Peptid YY, Insulin und Glukose im Körper entsprechen.
Vagusnerv-Efferenzen hingegen übermitteln das vom Gehirn kommende Signal an den Magen-Darm-Trakt, die Leber und die Bauchspeicheldrüse. Die Vagusnerv-Innervation von weißem Fettgewebe wurde auch durch neuronale Rückverfolgung gezeigt. Die Anatomie und die funktionelle Rolle des Vagusnervs im Zusammenhang mit dem Fettgewebe ist jedoch ein aktiver Forschungsbereich.
Vagusnerv-Afferenzen, die den Magen-Darm-Trakt und die Leber innervieren, sind an der Regulation des kurzfristigen Fressverhaltens beteiligt. Vagusnerv-Signale vermitteln das mit der cholecystokinin-induzierten Sättigung und der Beendigung der Mahlzeiten verbundene Signal. Darüber hinaus ermöglichen synergistischer Chemoreize wie Cholecystokinin und Leptin die kurzfristige Unterdrückung des Nahrungsmittelkonsums durch die Aktivierung der Vagusnerv-Afferenzen. Lipidakkumulation im oberen Darm und die daraus resultierende intestinale Cholecystokinin- Freigabe regulieren über vagal afferente und zentrale Mechanismen die hepatische Glukoseproduktion.
Darüber hinaus können metabolische Moleküle direkt eine Haupthürde in der Regulation des Stoffwechsels darstellen. Insulin-Signalisierung im mediobasalen Hypothalamus wird durch die Modulation kaliumempfindlicher ATP-Kanäle vermittelt und verbessert die Hepatische Glukoseproduktion. Cholinerge Stimulation des Hypothalamus, die auf muskarinische Rezeptoren angewiesen ist, fördert Hepatische Glykogensynthese durch den Vagusnerv. Eisenstoffwechselauskopplungen im Hypothalamus-System und Signale des Hypothalamus steuern die zentrale Nährstoff-Regulation
“Wenn der Vagusnerv nicht aktiv ist, dann sind sowohl Gehirn-zu-Darm-Signale, als auch Darm-zu-Gehirn-Signale gestört. Ein gezieltes Vagustraining hilft Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Menschen mit Gehirnnebel, Autoimmunerkrankungen, und chronischer Erschöpfung”
Dr. Gerrit Keferstein
Inflammation und Adipositas
Adipositas ist direkt mit dem epidemischen Auftreten von Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen verbunden. Die chronische Entzündung, die mit Adipositas einhergeht, wurde bei vielen Menschen diagnostiziert. Leukozyten infiltrieren erweiterte Fettgewebe und setzen proinflammatorische Faktoren dort frei. Darüber hinaus produzieren Adipozyten und Makrophagen proinflammatorische Zytokine, die das Immunsystem stimulieren.
TLR-Rezeptoren, die von Neuronen des Vagusnervs ausgedrückt werden, erkennen Lipopolysaccharide. Der Inflammasom, ein Protein-komplex, reguliert die Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-1beta und Interleukin-18. Ein weiteres Zellsignalprotein (SOCS3), das von Lipopolysacchariden aktiviert wird, unterdrückt die Signale des Lipidsensors PPAR-gamma.
Eine Dysfunktion des Vagusnervs, die zu verringertem Cholinerge Output führt, kann Entzündungen in Adipositas verstärken und metabolische Komplikationen verstärken. In Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass die selektive Aktivierung des efferenten cholinergen Arms des entzündlichen Reflexes sowohl die Entzündung als auch die metabolischen Komplikationen verringern kann.
Vagusnerv-Aktivierung mit Cholinerger Therapie
Eine mögliche therapeutische Strategie zur Behandlung von Adipositas besteht darin, die cholinergen Mechanismen im entzündlichen Reflex durch α7-nAChR-Agonisten oder einen zentral wirkenden Acetylcholinesterase-Inhibitor zu aktivieren. α7-nAChR-Agonisten wurden bereits als anti-inflammatorische Wirkstoffe untersucht.
Galantamin, ein Acetylcholinesterase-Inhibitor, der als Medikament zur Behandlung von Alzheimer-Krankheit zugelassen ist, kann die Entzündung, Insulinresistenz und die Entwicklung einer Fettleber verringern. Galantamin reduziert die Expression proinflammatorischer Zytokine im Fettgewebe und verbessert die Insulinempfindlichkeit.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Vagusnerv direkt zu stimulieren. Vagusnerv-Stimulation ist bereits eine etablierte Behandlungsoption für Epilepsie und Depression. Durch die Stimulation des Vagusnervs kann die Entzündung reduziert und der Stoffwechsel reguliert werden. Vagusnerv-Stimulation wurde auch bei der Gewichtsreduktion eingesetzt und hat sich als wirksam erwiesen.
Die einfachste Art und Weise den Vagusnerv zu stimulieren ist mit Hilfe von simplen Atemtechniken, die jeder erlernen kann. Diese lehren wir im MOJO Institut jedem Patienten mit chronischen Erkrankungen.
Fazit
Die Aktivierung des entzündlichen Reflexes über den Vagusnerv könnte zur Behandlung von Adipositas und ihren assoziierten Komplikationen, wie dem metabolischen Syndrom und Typ-2-Diabetes, eingesetzt werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei die cholinerge Aktivierung des Vagusnervs. Sowohl Medikamente als auch vagusnervstimulatorische Ansätze können die entzündlichen Folgen von Adipositas verringern, die metabolische Funktion verbessern und die Lebensqualität der Patienten erhöhen.
Quellen
Pavlov VA, Tracey KJ. The vagus nerve and the inflammatory reflex–linking immunity and metabolism. Nat Rev Endocrinol. 2012 Dec;8(12):743-54. doi: 10.1038/nrendo.2012.189. PMID: 23169440; PMCID: PMC4082307.
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